Erdmann Neumeister

Am 27. September 1715 füllte eine andächtigen Gemeinde die St. Jakobikirche bis auf den letzten Platz. Als der letzte Vers des Hauptliedes angestimmt wurde, richteten sich aller Augen voller Spannung nach der Kanzel. Sollte doch die Gemeinde an diesem Tage einen neuen Hirten erhalten in der Person des bisherigen Oberhofpredigers, Konsistorialrates und Superintendenten zu Sorau , Erdmann Neumeister, dem ein bedeutender Ruf als tüchtiger Prediger, treuer Seelsorger, hochbegabter Dichter geistlicher Lieder und unerschrockener Streiter für die Reinheit des lutherischen Bekenntnisses vorausgegangen war. Und um so größer war die Spannung, in welcher die Gemeinde dem ersten Auftreten ihres neuen Pastoren entgegensah, als Neumeister schon am 7. April zum Nachfolger des sel. D. Johann Riemer erwählt worden war und man mehr als fünf Monate auf seine Übersiedelung nach Hamburg hatte warten müssen. Als die Gemeinde die Predigt Neumeisters über 2.Mose 19, 3-6 gehört hatte und der feierliche Akt der Vorstellung und Einführung des neuen Seelenhirten vorüber war, verließ sie hochbefriedigt das Gotteshaus. Auf der Jakobikanzel – das wussten sie nun – werde ihr auch fernerweit Gottes Wort nach Luthers Lehre unverfälscht gepredigt werden. Einundvierzig Jahre lang hat Neumeister auf dieser Kanzel in guten und bösen Tagen unentwegt und unverzagt seines Amtes gewaltet, - eine Säule der lutherischen Rechtgläubigkeit, die bei einem Manne wie Neumeister von rechter Gläubigkeit nicht zu trennen war. 

Erdmann Neumeister war 44 Jahre alt, und schon in einer achtzehnjährigen, von mancherlei Kampf und Prüfung durchwobenen Amtsführung bewährt, als er nach Hamburg kam.

Geboren am 17. Mai 1671 (12. Mai 1671) zu Üchtritz  (heute Uichteritz) bei Weißenfels als Sohn eines frommen Schulhalter und Wirtschaftsschreibers auf den gräflich Pollnitzischen Gütern, hatte er als Knabe sich am liebsten in Feld und Stall umhergetrieben. Mit vierzehn Jahren war erst der Trieb zum lernen bei ihm erwacht. In Schulpforta ausgebildet, konnte er schon mit achtzehn Jahren zur Universität abgehen. In Leipzig hörte er mit Begeisterung die biblischen Vorlesungen August Hermann Frankes.
1695 wurde er Magister und hielt unter anderen Vorlesungen über Dichtkunst, die er selbst auch ausübte. Es war die Zeit der ersten Schlesischen Dichterschule. Neumeister schrieb:

„über die allerneueste Art zur reinen und galanten Poesie zu gelangen.“

Eine Brunnenkur in Bibra, der er sich 169? Unterziehen musste, führte zu seiner Berufung als Pfarrer nach Eckartsberga, 1704 berief ihn der Herzog Johann Georg von Sachsen  als Hofprediger nach Weißenfels. Hier schrieb er sein bekanntes, vielfach aufgelegtes Kommunionbuch:

„Der Zugang zum Gnadenstuhl Jesu Christi.“

Auch verfaste er hier seine ersten geistlichen Kantaten über alle Sonn-, Fest- und Aposteltage,

„in ungezwungenen teutschen Werken ausgefertiget.“

Im Jahre 1706 folgte er der Schwester des Herzogs und ihrem Gemahl, dem Grafen von Promnitz, als Oberhofprediger, Konsistorialrat und Superintendent nach Sorau in der Niederlausitz. Neun Jahre lang waltete Neumeister hier seines Amtes in großer Treue. Hier reifte er im Kampf mit unlauteren Pietisten, Schwärmern und Fanatikern einerseits, wie mit dem sündhaften Treiben am gräflichen Hofe andererseits zu der machtvollen lutherischen Zeugengestalt, als welche er nach Hamburg kam. Gegen den wegen seiner chiliastischen Schwärmereien seines Amtes als Superintendent in Lüneburg enthobenen D. Johann Wilhelm Petersen, der in und um Sorau mit seiner Lehre vom tausendjährigen Reich und der Wiederbringung aller Dinge die Gemüter verwirrte, und gegen die von schwärmerischen Pietisten ins Leben gerufenen Kinderbetstunden mit den in ihrem Gefolge entstandenen Kindererweckungen predigte Neumeister und richtete gegen D. Petersens „freimütige Anrede“ seine „freimütige Widerrede“.

Eine Frucht dieser Kämpfe war seine Postille:

„Priesterliche Lippen in Bewahrung der Lehre.“

Von seinem Grafen hatte er viel Feindschaft zu erdulden. Dennoch schlug er einen im Jahre 1710 an ihn ergehenden Ruf an die Gnadenkirche zu Freystadt aus, weil er sich von der Gemeinde, deren volle Liebe er besaß, nicht trennen mochte. Als aber 1715 die Hamburger ihn zum Pastor an St. Jakobi begehrten, konnte er nicht widerstehen. So hielt er denn unter den Tränen der ganzen Stadt seine Abschiedspredigt:

„Sorauischer Abschiedskuß aus dem Evangelio des 3. S. in Trin.“

Und unter dem Geleite der gesamten Bürgerschaft zog er von dannen. Auf einer Anhöhe vor der Stadt, von der man die Stadt und das gräfliche Schloss überschauen konnte, soll Neumeister mit prophetischen Worten ein Wehe über das Grafengeschlecht errufen und dessen Untergang verkündet haben. Fünfzig Jahre später, 1750, ging wirklich die gräfliche Herrschaft zu Ende.

In Hamburg bereiteten ihm seine Freunde einen ehrenvollen Einzug und Neumeister freute sich auf seine Arbeit in dem Hamburgischen Zion.

Neumeisters Predigten fanden den größten Beifall. Um seinen Zuhörern in der gedrängt vollen Kirche das Auffassen derselben zu erleichtern, gab er jeden Sonnabend einen kurzen Entwurf seiner am folgenden Tage zu haltenden Predigt heraus. Es waren die sogenannten „Denkzettel“ oder „Texte“ die Neumeister zuerst in Hamburg einführte. Sie enthalten auf einem Viertelbogen das Thema und die Einteilung der Predigt nebst einem von Neumeister verfassten Liede. Diese Lieder waren „das starke Siegel, welches Neumeister bei dem Beschluss seiner erbaulichen Predigten seinen Zuhörern zu festerer Bewahrung des gepredigten Wortes in ihre Herzen eingedrücket.“ Die „Texte“ wurden bei der Gemeinde so beliebt, dass Neumeister, als er einundsechzig Jahre im Amte gewesen und durch sein Alter gelähmt und erblindet, die Kanzel nicht mehr besteigen konnte, auf Bitten der Gemeinde noch anderthalb Jahre fortfuhr, „Texte“ herauszugeben. Die meisten seiner Predigten, sowohl die in den sonntäglichen Hauptgottesdiensten, als die in den Wochengottesdiensten gehaltenen, gab Neumeister außerdem noch in ausführlicher Gestallt, teils in Einzeldrucken, teils in Sammelwerken heraus. Die Predigten waren nicht nur korrekt in der Lehre, sonder auch von großer Glaubenswärme und von erwecklichem Ernste. Die Sünder zur Buße und die bußfertigen Sünder zu Jesu, dem Sünderheiland zu führen, war Neumeister eifriges Bemühen. Das bezeugen schon die Titel einiger seiner Predigten:

„Heilige Namenslust an dem Herrn Jesu“

„Gewissheit der ewigen Seligkeit im Glauben, im Leben, im Sterben“

„Rechtschaffene Früchte der Buße“

„Die Güte und der Ernst Gottes zu unserer Belehrung“

„Das christliche Schaffen selig zu werden mit Furcht und Zittern“

u.s.w. Am zweiten Reformations-Jubelfeste, den 31. Oktober 1717, stellte Neumeister in einer Predigt über Sach. 14, 6 u. 7 seiner Gemeinde

„die angenehme Gestallt des Kirchenhimmels vor, welche der Gott aller Gnaden durch die gesegnete Reformation Lutheri in den letzten Tagen wiedergebracht.“

An diesem Kirchenhimmel sah Neumeister mit wachsender Besorgnis drohende Wolken emporsteigen, und der treue Wächter hielt es für seine heilige Pflicht, das lutherische Kirchenvolk vor dem kommenden Wetter zu warnen. Die Gefahr erblickte er auf der einen Seite in dem Vordringen des Calvinismus mit seinen Unionsbestrebungen, auf der einen Seite in dem Umsichgreifen des Pietismus mit seinen Ausartungen. Schon im Jahre 1719 hatte er in einem Missive an das Ministerium geschrieben:

„Iterum censeo Carthaginem tam Papisticam, quam Calvinisticam esse delendam“.

(Wiederum stimme ich dafür, dass sowohl das papistische wie das valvinistische Karthago zerstört werden muss.)

Durch eine gemeinsame Erklärung des Ministeriums wollte er die Gemeinden gewarnt wissen, damit nicht die Nachkommen sagen möchten, die Mitglieder des Ministeriums seien Verräter und Schüler gewesen. Als nun in dem selben Jahre der Kanzler der Universität Tübingen, Christian Klemm, in seiner Schrift:

„Nötige Glaubenseinigkeit der protestantischen Kirchen“

auf eine Union der lutherischen Kirche mit der reformierten drang und auch das corpus evangelicorum die Frage einer eingehenden Prüfung unterzog, da griff Neumeister zur Feder und schrieb unter Berufung auf seine vor dem Angesicht Gottes und seiner Gemeinde übernommenen Amtsverpflichtung,

„von welcher auf die Seele gebundenen Pflicht er weder aus Menschenfurcht noch um Menschengunst abweichen wolle, so lange noch ein Odem aus seinem Munde gehe,“

eine Abwehr unter dem Titel

„Kurzer Beweis, dass das jetzige Bereinigungs-Wesen mit den sogenannte Reformierten oder Calvinisten dem ganzen Catechismo schnurstraks zuwider lauffe: nebst einem Anhange, darinnen die Bereinigungs-Punkte untersucht werden. Mit Genehmhaltung und Approbation C.C. Ministeriee, Hamburg 1721.“

Die Schrift erregte großes Aufsehen und das besondere Missfallen des Königs Friedrich Willhelm I. von Preußen. Neumeister hatte voraus gesehen, das man mit seiner Schreiart nicht zufrieden sein werde. „Ich kann keine Feder von Samt und Seide machen,“ hatte er schon in der Vorrede zu seinem kurzen Beweis geschrieben. Er finde auch nirgends in der heiligen Schrift, dass man offenbaren Feinden und Verrätern der Religion glimpflich begegnen sollte. Übrigens sei seine Schrift nur gegen die irrige Lehre selbst und die Lehrer, welche dieselbe erdacht, nicht gegen die reformierten Schriften insgemein gerichtet. Ebenso wenig sei dieselbe wieder hohe und andere Obrigkeit gerichtet. In der Vorrede zu einer unter dem Titel:

„Geistlicher Adel“

ebenfalls im Jahre 1721 herausgegebenen Predigtsammlung widerlegte Neumeister die Klemm`sche Schrift über die Glaubenseinigkeit der protestantischen Kirche. Er schrieb:

„Wer den Titul recht einsiehet, dem ist es was Betrübtes und Ärgerliches, dass unter dem Rahmen der Protestierenden Kirche die Lutheraner mit dem Calvinisten in einen Kessel zusammengeworffen werden.“

Nunmehr forderte der König von Preußen von dem Rat zu Hamburg, „das der Urheber der unter dem Namen des berüchtigten Erdmann Neumeister gedruckten Schartese exemplarisch bestraft werde.“ Auch die Generalstaaten in Holland verlangten aufs nachdrücklichste die Bestrafung Neumeisters. Der Rat bat am 16. Januar 1722 das Ministerium, die Schrift zu unterdrücken, da sie auch im Lüneburgischen konfisziert sei. Das Ministerium erwiderte, dasselbe habe nach sorgfältigster Prüfung die Schrift approbiert. Sie sei auch nicht gegen die hiesigen Reformierten gerichtet, sondern gegen die Dogmatiker; diese sollten billig ihre Federn gebrauchen, sie zu widerlegen und nicht hohe Puissanzen (Machthaber) behelligen. Dem Ministerium läge es ob, für das Hefte der Kirche zu sorgen; das ausgebrochene Unionswerk könne aber der Kirche nur zum Schaden gereichen.

Neumeister ließ sich auch nicht einschüchtern. Er schrieb u.a.:

„Untersuchung der Frage, ob in Erdmann Neumeisters wider das Unionswerk gerichteten Schriften etwas enthalten sei, welches mit der christlichen Liebe und Sanftmut streite, oder auch injuriös sei und den Reichs-Constitutionen zuwider laufe.“

Als der Kurfürst von Hannover in seiner Eigenschaft als Kreisoberster des niedersächsischen Kreises den Buchhändlern den Vertrieb einer dieser Schriften untersagte, fühlte sich das Ministerium kompromittiert und verlangte von dem Rate eine Aufhebung des Verbotes und einen Bericht an die hohen Häupter, der sie eines Besseren belehren solle. Andererseits verlangte der König von Preußen, man solle „den bekannten Neumeister exemplarisch bestrafen und ihm ein Traktament wenigsten wie dem D. Krumbholz bereiten!“  

Als der Rat dem Ministerium dies am 6. Februar 1722 mitteilte, konnte dieses in seiner Erwiderung nur seinem Erstaunen über solche Gedanken des corpus evangelicorum Ausdruck geben und an das Wort des Apostels erinnern:

„Fürchtet euch vor ihrem Trotzen nicht und erschrecket nicht. (1. Petri 3, 14).

Es geschah denn auch Neumeister nichts.

     Einige Jahre später wurde Neumeister in einen neuen Streit verwickelt. Als nämlich am 2. Oktober ein Edikt erschien, welches den sogenannten „Lehr-Elenchus“ oder die Bestrafung der Lehrirrtümer auf der Kanzel einschränkte und den Gebrauch der Wörter „Pietist“ und „Pietisterei“ verbot, trat Neumeister mit einem

„Beweis, dass die Marbergersche sogenannte schriftmäßige Betrachtung des Lehr-Elenchus nicht schriftgemäß sei“,

sofort wieder auf den Plan. Und bald darauf warf er den ganzen Pietismus den Fehdehandschuh hin mit einer ausführlichen Schrift:

„Kurzer Auszug Spenerischer Irrtümer“,

welche der Erkenntnis der Wahrheit zur Gottseligkeit nachteilig fallen, wie solche nach der Richtschnur des göttlichen Wortes in christlicher Bescheidenheit geprüft und hierauf anderen, insonderheit denen, welche mit ungeordneter Liebe und Hochachtung an den Spenerischen Schriften hangen, zur Belehrung in Druck gegeben worden. Hamburg 1727.

Die Schrift erregte überall das größte Aufsehen. Sie wurde in Sachsen sofort verboten und eine Flut von Schmähschriften, die zum Teil Neumeister persönlich verunglimpften, ergoss sich gegen den unerschrockenen Zeugen, der wiederum seinen Gegnern die Antwort nicht schuldig blieb. Zu jener Zeit dichtete Neumeister:

- und gieb, dass unser Lebenslauf

von Herzen fromm und nie dabei

kein pietistisch Wesen sei!

Einige Jahre später, 1736, trat Neumeister auch gegen die Herrnhuter auf. Die theologische

Fakultät zu Tübingen hatte in einem Gutachten „die mährischen Brüder zu Herrnhut“ für gut lutherisch erklärt. Neumeister schrieb ein

„Meine tekel dieses Bedenkens“

und wies nach, wie dasselbe

„Nach der Wahrheit des göttlichen Wortes und der gesunden Theologie in 35 Punkten abgewogen und zu leicht befunden worden.“

Auch gegen die Lieder und Gesänge des Herrnhutischen Gesangbuches richtete er einen Angriff. Alle diese Streitschriften gingen nicht aus Lust am Streiten hervor, sondern Neumeister hielt es für eine heilige Gewissens- und Amtspflicht, jeden Aufkommen einer falschen Lehre und Richtung in der lutherischen Kirche mit rücksichtsloser Entschiedenheit entgegenzutreten; denn es handelte sich für ihn dabei um die seligmachende Wahrheit, die auch nicht durch einen Tropfen Giftes irriger Lehre verderbt werden durfte.
            Die polemischen Schriften Neumeisters haben ihm den Ruf eines lutherischen Fanatikers eingetragen. Aber Neumeister war kein Fanatiker. Er war ein von Herzen frommer, lautere und demütiger Diener seines Heilandes, der bei allem Eifer im Streit niemals seine Hirtenpflichten vernachlässigte und von seiner Gemeinde geliebt und geehrt wurde. Derselbe Mann, der den Gegnern der lutherischen Kirche mit so scharfer Klinge entgegentrat, verstand die Hände zu falten und schenkte seinem Volke köstliche Erbauungsschriften wie z.B. das schon erwähnte Kommunionbuch:

„Zugang zu dem Gnadenstuhl Jesu Christi“

und das Gebetbuch

„Geistliches Räucheropfer.“

Und er war ein Geistlicher Liederdichter von Gottes Gnaden. Wie meisterhaft verstand er die Harfe zu Ehren seines Gottes und Heilandes zu rühren. Mehr als Siebenhundert geistliche Poesien sind von ihm im Druck erschienen, meistens als Bestandteile von Kirchenkantaten zur Verherrlichung der schönen Gottesdienste des Herrn. Der Herausgeber seiner

„Fünffachen Gott und seinem Dienst gewidmeten Kirchen-Andachten,“

Friedrich Tilgner, rühmt von ihm, dass er

„als der Erste unter uns Deutschen die Kirchenmusik durch die Einführung geistlicher Kantaten in besseren Stand gebracht und in den jetzigen Flor versetzt hat.“

Unter den geistlichen Liedern Neumeisters, die  teils in seinen „Kirchenandachten“ und in dem Kommunionbuch: „Der Zugang zum Gnadenstuhl“, teils in den beiden Teilen seines „Evangelischen klanges“ erschienen sind, ragen hervor als wahre Perlen des evangelischen Kirchenliederschatzes das Glaubenslied:

„Jesu, großer Wunderstern.“

Man wird sich kaum ein Epiphanienmissionsheft ohne dies innige und sinnige Lied denken können. Und doch war Neumeister kein Freund der Heidenmission, die damals von seinen kirchlichen Gegnern, den Hallenser Pietisten, ausging. Eine Himmelfahrtspredigt, in der er bewiesen, dass die sogenannten Missionen nicht nötig seien, schloss er mit den Worten:

„Vor Zeiten hieß es wohl: Geh hin in alle Welt!

Jetzt aber: Bleib allda, wohin dich Gott gestellt.“

Zu den bekannteren Lieder Neumeisters gehören noch folgende:

„Mein lieber Gott, gedenke meiner“ – „So ist die Woche nun geschlossen“ – und „Lasset mich voll Freuden sprechen: Ich bin ein getaufter Christ.“

Neumeisters Wahlspruch war Psalm 84, 12 Gott der Herr ist Sonne und Schild! Er pflegte diesen Spruch auch seinen Schriften zu Anfang oder am Ende einzufügen. In seinem langen und gesegneten Leben hatte sich ihm die Wahrheit dieses Spruches bewährt. Neumeister erfreute sich auch in seinem Alter einer solchen körperlichen und geistigen Frische, dass er in seinem dreiundsechzigsten Lebensjahre dankbar rühmen konnte, dass er „noch von ebenso guten Kräften des Gemütes und Leibes sei, als er gewesen, da er sein Amt angetreten.“  Als man freilich im Jahre 1738 nach des Seniors J. D. Winklers Tode dem Siebenundsechzigjährigen das Seniorat antrug, bat er den Rat, ihn mit dieser Last zu verschonen, damit er den Rest seiner Tage in Ruhe verleben könne. Darauf wurde Pastor Palm an St. Petri Senior. Dieser übertrug 1740 Neumeister die Ausarbeitung eines Hamburgischen Katechismus. Sein Entwurf wurde zwar vom Ministerium gebilligt, aber der Rat zögerte mit seiner Approbation. Eine neue Zeit war im Anbruch und Neumeister zog sich von dieser Arbeit zurück.
            Am 30. Juni 1747 feierte er unter Teilname ganz Hamburgs und weiter Kreise des evangelischen Deutschlands sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum. Er selbst hielt mit großer Frische die Jubelpredigt. Das gesamte Ministerium, das zu dieser Feier einen

Portugalöser mit Neumeister Bildnis

Hatte schlagen lassen, beteiligte sich an dem Gottesdienst. Nach dem Gottesdienst fand im Rastorenhause ein großes Freudenmahl statt. Wie ein Patriarch saß Neumeister im Kreise seiner zahlreichen Kinder und Enkel. Seine Frau, Johanna Elisabeth geb. Meister, mit welcher er seit 1697 in glücklichster Ehe gelebt hatte, war im Jahre 1740 heimgegangen. Sie hatte ihm dreizehn Kinder, acht Söhne und fünf Töchter, geboren von denen Neumeister fünfzig Enkel sehen durfte. Einer seiner Söhne, Erdmann Gottlieb, wurde 1739 Diakonus an St. Jakobi und als dieser schon 1742 starb, wurde ein anderer Sohn, Erdmann Gottwert, dessen Nachfolger. Der älteste Sohn, Erdmann Gotthold, wurde Superintendent in Eckartsberga.
            Am 10 März 1750 erlebte Neumeister, das ganz Hamburg erschütternde und betrübende Ereignis der Einäscherung der großen St. Michaeliskirche durch einen Blitzstrahl. An dem in Veranlassung dieses Ereignisses gefeierten außerordentlichen Fast-, Buß-, und Bettag, am 19. März, predigte Neumeister
bei sehr volkreicher Versammlung auf Grund von Amos 4, 11 und 12 über den Feuereifer Gottes im Zorn und doch auch in Gnade. Zu der nach Schluss des Gottesdienstes stattfindenden Kollekte für den Wiederaufbau der Michaeliskirche feuerte Neumeister nach einer sehr beweglichen Einleitung an, in dem er schloss:

„Nun was soll ich sagen? Heraus, ihr Portugalöser! Ins Gewehr, ihr Dukaten!“

Die Kollekte dieses Tages ergab in sämtlichen Kirchen Hamburgs den reichen Ertrag von 116555 Mark Court.

            Noch einige Jahre durfte er seines Amtes walten, wie er auch immer noch literarisch tätig war. Gegen Ende des Jahres 1755 stellte sich aber bei dem Vierundachtzigjährigen eine fast völlige Erblindung ein, so dass er die Kanzel nicht mehr besteigen konnte. Seine letzte Predigt hielt er am 19. Sonntag nach Trinitatis in Veranlassung des Jubelfestes des Augsburger Religionsfriedens über Jes. 26, 2-4. Am Morgen des 18. August 1756, wenige Wochen nach einer verfehlten Augenoperation, entschlief er unvermutet, sanft und selig. Seine lebendige Hoffnung hatte er in dem Liede: „Da ich mich hier eingefunden“ mit den Worten ausgesprochen:

„Jesus lebt, so sterbe ich nicht,

Und in solcher Zuversicht

Fahr ich, erdensatt und müde,

Hin zu ihm in Freud und Friede.

            Seinen Sarg hatte er schon bei Lebzeiten anfertigen lassen; er stand seit Jahren auf seinem Saal. In seinem Testament hatte er sich gegen die neuaufgekommene Mode der Abendleichenbegängnisse ausgesprochen und verlangt, wie es christlich sei, am Tage beerdigt zu werden. So geschah es auch. Nicht nur seine dreiundsechzig Kinder und Enkel, ganz Hamburg betrauert den Tod des geliebten Mannes. Am 25. August wurde er in der Jakobikirche feierlich beerdigt. In zahlreichen Leichenschriften, in Poesie und Prosa wurden seine Verdienste gepriesen und sein Tod betrauert. In der deutschen Gesellschaft zu Leipzig wurde unter Gottscheds Vorsitz eine Trauerfeier veranstaltet, bei welcher ein Hamburger die Gedächtnisrede hielt über das Thema:

„Der Ruhm eines echten Gottesgelehrten bleibt nach seinem Tode in stetem Andenken.“

Die „Bildergalerie Hamburgischer Männer des achtzehnten Jahrhundert entwirft von Neumeister folgendes Bild:
„Die Liebe und der Stolz seines Zeitalters als Kanzelredner, asketischer Schriftsteller und Dichter; redlich, herzlich, für alles, was er recht und gut hielt, mit ganzer Seele, oft mit fast zu raschem Feuereifer wirksam, durch die schöne und große Ernte langer nützlicher Aussaat der späteren Nachwelt ehrwürdig.“
So bei den Menschen. Und bei seinem Gott wird er das Urteil empfangen haben:  

„Ei, du frommer und getreuer Knecht, gehe ein zu deines Herrn Freude.“